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"Bücher für Kinder

Die Hexe von Hohenroda

Dieses Buch enstand speziell für behinderte Kinder. Selbstfindung und Selbstbehauptung sind die dominierenden Themen. Restexemplare über den Autor erhältlich. Illustrationen von Elfriede Baldermann. 56 Seiten

 

1. Kapitel: Von den Qualen der Mitfahrer

Kevin ist gerne im Auto unterwegs. Und auch lange Autobahnfahrten sind ihm kein Graus. Wie wohl alle zwölf Jahre alten Jungen liebt er es, mit Tempo 180 in den Urlaub kutschiert zu werden. Er schaut dann aus seinem Fenster in der zweiten Reihe nach rechts hinaus auf die Fahrzeuge, die meist niedriger, schmaler und auch kürzer als das ihre sind und betrachtet die Leute: Verwegene Cabriofahrer mit Schildmützen auf dem Kopf, junge Frauen mit einem Kindersitz hinter sich, Großfamilien mit einer Klopapierrolle unter der Heckscheibe usw., usw.


Kevin ist gerne auf der Überholspur. Vielleicht, weil er sonst viel langsamer fahren muss. So langsam, wie die Fußgänger gehen. Seit einem Jahr nun besitzt er einen Rollstuhl. Zuerst war ihm nur das Treppensteigen schwergefallen. Dann konnte er seine Schultasche nicht mehr alleine tragen und als er nachher selbst auf ebener Strecke immer wieder hinfiel, hatte der Arzt einen Rollstuhl für ihn bauen lassen.


Seit Kevin diesen hat, ist seine Mutter noch besorgter um ihn als ohnehin schon. Gerade jetzt sieht er wieder, wie sie im Rückspiegel nach ihm Ausschau hält. Sicher um sich zu überzeugen, dass sein Gesicht nicht zu blass ist, seine Beine in der richtigen Position ruhen oder ob er vielleicht sonst einen Wunsch hat, den sie selbst von seinen stummen Lippen ablesen kann.

 

Kevin fühlt sich unter den Blicken seiner Mutter geborgen und eingeschnürt zugleich. Aber er wagt nicht, ihr das zu sagen. Er will ihr nicht weh tun. Also weicht er diesem Blick im Spiegel aus und schaut nach draußen. Ein bisschen schlecht ist ihm vom Autofahren und auf dieToilette muss er auch. Aber Kevin sagt davon nichts. Raststätte, Rollstuhl raus. Die neugierigen Blicke der Leute, die neben ihren Autos stehen und mitgebrachte Schnitten essen. Die Augen dieser Leute scheinen zu sprechen:

 

„Was er wohl haben wird?“
„Der arme Junge!“
„Die armen Eltern!“

 

Und dann immer wieder die bange Frage für den Jungen: „Führen Treppen zum Klo? Ist die Tür breit genug für den Rollstuhl?“ Nein Danke! Da lenkt sich Kevin lieber ab und das Bedürfnis gerät in den Hintergrund. Er schaut auf die vorbeifahrenden Autos, betrachtet wieder die Leute darin und überlegt, wohin sie fahren wollen. Dieser Blick von oben nach unten auf die anderen Fahrzeuge hat etwas Erhebendes für den Zwölfjährigen. Er fühlt sich dann größer. Das große Auto haben Kevins Eltern gekauft, damit sie Platz für seinen Rollstuhl haben.


Wenn der Junge ein anderes Fahrzeug mit einem Aufkleber erblickt, der einen Rollstuhl zeigt, dann überkommt ihn ein eigenartiges Gefühl: Einerseits ist er neugierig, wer darinsitzt. Vielleicht sogar ein Junge oder ein Mädchen seines Alters? Wird er oder sie auch zu diesem Treffen der Muskelkranken nach Hohenroda gefahren? Andererseits möchte er dieses Zeichen aber am liebsten gar nicht sehen. So, wie es ihm auch am Auto seiner Eltern peinlich ist. Es müsste einen Zauber geben, mit dem man alle Krankheiten weg ... Aber es ist, wie es ist. Deshalb denkt Kevin lieber an etwas, über das er selbst mit seinen Eltern nicht spricht: An eine Freundin mit langen, dunklen, lockigen Haaren. Solche Haare sollte das Mädchen haben, für das er sich interessiert. Kevin ist jetzt zwölf Jahre und da ist es die normalste Sache der Welt, an eine Freundin zu denken.


Aber welches Mädchen will schon einen, der nach der Hofpause immer als letzter in den Klassenraum gehumpelt kommt? Kevin erinnert sich an die Schuldisko vor einem Jahr, kurz bevor er diesen Rollstuhl bekam: Fast alle aus seiner Klasse tanzten. Er aber saß am Tisch und ließ seinen Körper im Takt der Musik wippen. Er lachte, dabei war ihm gar nicht danach zumute. Aber wenn alle lustig sind, dann muss man auch lachen. Denn: Wer will schon mit einem Trauerklos zu tun haben? Dann kam Viola, seine heimliche Liebe...

Folgen einer Gewitternacht

Ein spannender Krimi für Schüler von zehn bis 13. Halunken, Fabelwesen, eine Entführung … Ein Buch mit Gruseleffekt! Dazu paassende Fotos von Ingrid Degel Verlag winterwork, 182 Seiten, 16,00 Euro, ISBN 978-3-940167-51-4

Anstatt der Leseprobe auf der Rückseite des Covers ein Einblick in den Inhalt:

 

Gewitternacht Gewitternacht
Jackel und der Ochsenschneck

Jackel ist ein kleiner Igeljunge. Widrige Umstände bringen ihn dazu, in die weite Welt ziehen. Dort begegnet er dem Ochsenschneck, einem Fabelwesen und Schicksalsgefährten. Beide werden von einem geldgierigen Professor gefangen. Am Ende wird alles gut. Eine Geschichte voller Gleichnisse zum mitfiebern. Momentan über den Autor erhältlich. 140 Seiten, 12,90 Euro


Leseprobe:

Erstes Kapitel: Alleine im Waldhaus

Immer, wenn Jackel die Augen schließt und einschlafen will, dann kommen die Ungeheuer. Oft sind das kleine, grimmig aussehende Männlein, Seeräuber, Soldaten und so, die früher einmal in einer Spielzeugkiste lagen. Durch einen Zauber aber sind sie lebendig geworden und nun ziehen sie raubend und unheilbringend durch die Welt. Manchmal, wenn es windig ist, dann bewegt sich ein Drache draußen im Garten. Dieser Drache schnaubt ungeduldig und bringt mit seinem heißen Atem die Fensterläden zum Klappern. Und häufig, das ist für Jackel das Schlimmste, lauert ein Fuchs unter seinem Bett. Wenn der kleine Igel dann sein Gesicht unter der Zudecke verbirgt, glaubt er das Hecheln des rot-braunen Gesellen ganz dicht neben sich zu hören.


Seit Jackels Mutter an den Nachmittagen beim Eisverkäufer arbeitet und er allein in dem großen Haus inmitten des Waldes Mittagsschlaf halten muss, sind die Ungeheuer noch größer und lebendiger geworden. Früher war es nur ein Spiel für Jackel gewesen: Wenn er das Schlafzimmer betrat und hinüber zu dem großen Bett blickte, in dem er und seine Mutter schliefen, seit der Vater nicht mehr da war, da dachte er immer das Gleiche: “In dem Dunkel unter dem Bett lauert ein Fuchs.” Jackel stellte sich seine Augen gelb und leuchtend wie glühende Kohlen vor. Sein Fell war rötlich-braun und zottig und das Maul voller gewaltiger weißer Zähne, spitz wie Nadeln. “Marsch ins Bett!”, rief die Mutter dann jedes Mal lachend und Jackel rannte. Und er war dabei froh, dass seine Mutter nichts von seiner Angst bemerkte. Bestimmt dachte sie, dass ihr Händeklatschen ihren “Borstenkopf” so zur Eile trieb.   


Der Gedanke, dass der Fuchs in eines seiner Beine beißen könnte, erzeugte in Jackels Bauch ein Kribbeln. Ungefähr so, als wenn er im Fernseher einen spannenden Film sieht. Endlich auf der Matratze angelangt, versteckte sich der Igeljunge unter seiner Zudecke und zog diese hinauf bis zum Hals. Die Mutter kam gleich darauf, setzte sich auf den Rand seines Bettes und streichelte Jackel über die Kopfstacheln. Und dann erzählte sie ihm ein Märchen oder las ihm eine Geschichte vor. Das tat sie so lange, bis ihr kleiner Igel müde wurde und einschlief. So war es an jedem Mittag und an jedem Abend. Aber eines Tages sagte die Mutter: “Jackel, du bist doch schon ein großes und vernünftiges Igelkind. Ab der nächsten Woche wird sich in unserem Leben etwas ändern: Ich kann an den Abenden weiter bei dir sein und eine Gute-Nacht-Geschichte vorlesen, aber bei der Mittagsruhe werde ich keine Zeit mehr für dich haben. Du wirst alleine zu Hause sein und dich ohne mich ausruhen müssen!” “Warum?”, wollte Jackel wissen.


“Wir haben zu wenig Geld”, antwortete die Mutter. “Wenn ich nichts dazu verdiene, dann können wir für dich keine neuen Pullover mehr kaufen, keine Süßigkeiten, und mit einem Fahrrad zu Weihnachten wird es auch nichts.” Jackel konnte die Worte seiner Mutter nicht begreifen. “Aber die Muttis von Borstinchen, Schnappel und meinen anderen Freunden gehen doch auch nicht arbeiten!”, rief er und das Entsetzen klang in seiner Stimme mit. “Ich will nicht, dass du mich alleine lässt! Ich will, dass du bei mir zu Hause bleibst!”, flehte Jackel und eine Träne kullerte aus seinem linken Auge. Mutter Isidore gab sich alle Mühe, ihren kleinen Igeljungen zu beruhigen, aber es wollte ihr nicht so recht gelingen.  Schließlich sagte sie: “Die anderen Igelkinder haben einen Vater, der das Geld verdient.” “Und warum habe ich keinen?”, wollte Jackel daraufhin wissen. “Das erkläre ich dir später einmal!”, vertröstete ihn die Mutter und sagte dann: “Laß uns heute nicht mehr darüber reden. Komm, wir spielen eine Runde ‚Igel, ärgere dich nicht!‘.” Und wirklich musste Jackel an diesem Tag bald nicht mehr daran denken, dass ihm einsame Mittagsschlafzeiten bevorstanden.

 

Zweites Kapitel: Die unheimliche Mittagsruhe

Heute ist Donnerstag und Jackel ist schon seit einigen Tage allein bei seiner Mittagsruhe gewesen. Die Mutter hatte ihn wie sonst auch nach dem Mittagessen eilig ins Bett gebracht und ihm einen guten Schlaf gewünscht. Dann ist sie in Richtung Eisdiele geradelt. Aber geschlafen hat Jackel an diesen Nachmittagen seither nicht ein einziges Mal. Und so liegt er auch heute wieder wach in seinem Bett und tastet mit den Blicken das Schlafzimmer ab. Nur ein paar dünne Lichtstrahlen dringen durch die herum geklappten Fensterläden herein. Aber Jackels an die Dunkelheit gewöhnten Augen können die Umrisse der Dinge im Raum erkennen:


-den Giebel des Bettes an seinen Füßen,
-den Kleiderschrank mit seinem Spiegel und den drei Türen,
-den Koffer, welcher oben auf dem Schrank liegt,
-die in Zeitungspapier eingewickelte Zuckertüte daneben
-das Bild an der Wand gegenüber dem Fenster,
-den Morgenmantel der Mutter, der auf einem Bügel neben dem Türrahmen hängt...

 

Alles sieht in der Dunkelheit aus wie in einem Gespensterfilm. Wenn irgendwo ein Holzwurm in den Balken knackt, dann könnten das auch kleine Männchen sein, die sich mit winzigen Werkzeugen durch die Schranktür fressen, und wenn Jackels Bett knarrt, dann ist ihm, als wenn der Fuchs unter seiner Matratze lauert. Immer wieder hält er die Luft an und lauscht in die Stille: Atmet nun ein Fuchs unter seinem Bett oder nicht? Und so ist es auch heute: Ein Knacken, ein Rascheln, wieder ein Knacken. Jackels Herz beginnt wild zu pochen. Woher kommen diese Geräusche? Die Mutter hatte zwar die Läden geschlossen, die Fenster aber offengelassen, weil es draußen so warm ist.
Wenn er allein zu Hause ist, fürchtet sich Jackel während der Mittagsruhe

 

Ob das Rascheln und Knacken nun unter dem Bett herauf oder von draußen hereinkommt, das macht für Jackel in diesem Moment wenig Unterschied: Da liegt ein kleiner Igeljunge in einem Haus abseits vom Dorf allein in seinem Bett, es ist dunkel und niemand in der Nähe, derzu Hilfe gerufen werden könnte. Jackel umklammert seinen Teddy, der eben noch nebenan in Mutters Bett lag und zieht die Bettdecke erneut bis weit über sein Kinn. Ist alles nur Einbildung? Ein leises Klopfen beunruhigt den Kleinen jetzt. Bald aber merkt er, dass es sein eigenes Herz ist, das er da pochen hört. Sonst ist es im Moment wieder still. Allmählich wird es unangenehm warm unter der Decke und Jackel beginnt, sie zur Seite zu schieben. Da vernimmt er plötzlich ein ganz deutliches Rascheln. Igelohren hören sehr genau und Jackel ist sich sicher, dass das Geräusch von draußen kommt. Genauer gesagt: vom Waldweg, der unter den riesigen Buchen, Kastanienbäumen und Linden hin zu dem Haus von Jackel und seiner Mutter Isidore führt.


Dieses Rascheln erinnert Jackel an Schritte. Aber irgendwie hat dieses Geräusch auch etwas Besonderes: Wenn seine Mutter spät nachmittags von der Arbeit kommt, dann geht das tip-tap,tip-tap. Dieses Laufen jetzt  aber hört sich anders an: Tip-tap-klapp, tip-tap-klapp... Jackels Gedanken überschlagen sich. Wer oder was könnte das sein?

 

-Ein Räuber, der sich beim Laufen auf seinem Gewehr abstützt? Jackel stellt sich in diesem Moment folgendes vor: Ein Räuber mit schwarzem Hut, schwarzer Augenbinde und einem angeschossenen, blutigen Bein ist auf der Flucht vor dem Dorfpolizisten von Igelsdorf  und sucht nun ein Versteck.
-Oder ist es ein Drache mit dampfenden Nasenlöchern, der durch den Wald in Richtung Igelhaus läuft? Der Drache kommt auf zwei Beinen, tip-tap, und schlägt mit seinem Schwanz –klapp- gegen die Sträucher und Bäume des Waldes.
-Oder sind es drei lebendig gewordene Spielzeugsoldaten, die, tip-tap-klapp, in riesigen Sprüngen durch die Welt ziehen und überall Angst und Schrecken verbreiten? In Jackels Gedanken ist der dritte Soldat schon etwas beschädigt, und deshalb klappern seine Gelenke bei jedem Sprung.


Egal, was es sein könnte: Der kleine Igeljunge zieht die Decke wieder bis an die Nasenspitze und drückt seinen Teddy so fest an sich, dass seine Finger sich in das Fell bohren. Bis eben noch hat Jackel gehofft, dass er sich irrt und alles eine ganz harmlose Erklärung finden würde. Aber nun öffnet jemand die rostige, quietschende Gartentür. Und die Schritte “tip-tap-klapp” bewegen sich langsam, aber stetig über den Kiesweg im Garten direkt auf die Haustür zu. Jackels Augen sind jetzt vor Angst weit geöffnet. Er hält den Atem an, solange er kann.“Tip-tap-klapp, tip-tap-klapp...”. Die Schritte kommen näher und näher. Jackel muss wieder Luft holen und spürt, wie sein ganzer Körper beim Einatmen zittert.


Dann plötzlich ist Ruhe. Niemand klingelt. Niemand läuft. Diese Ruhe ist für den Igeljungen fast noch schlimmer als die bedrohlich näher kommenden Schritte. Was wird geschehen? Jackel denkt in diesem Moment an alle Bösewichter, die er aus Märchen, Filmen und Comicheften kennt. Seine Gedanken überschlagen sich. Währenddessen steckt jemand unüberhörbar einen Schlüssel in das Schloss der Haustür. Dann wird zweimal herumgeschlossen, die Haustür geöffnet und die Schritte “Tip-tap-klapp, tip-tap-klapp” bewegen sich geheimnisvoll leise und vorsichtig über den Holzfußboden im Treppenhaus. Dann macht sich jemand in der Küche zu schaffen. Jackel vernimmt das Klappern von Geschirr.


Augenblicke später tönen die Schritte wieder im Treppenhaus, diesmal etwas lauter. Sie nähern sich unheilvoll der Tür zum Schlafzimmer. Als die Klinke herunter gedrückt wird, stößt Jackel einen herzzerreißenden Schrei aus. “Aber mein Kleiner! Habe ich dich geweckt? Hast du schlecht geträumt?” Oma Isterbies steht plötzlich im Zimmer. Sie ist die Großmutter des Eisverkäufers Isterbies und Uroma von Schnappel Isterbies, Jackels bestem Freund. Schnell lehnt die alte Frau ihre klapperige Krücke an den Bettgiebel und tastet sich durch das Halbdunkel zu Jackel, der jetzt schluchzend in seinem Bett liegt. Sie setzt sich zu ihm und streichelt über die kleinen Igelborsten auf seinem Kopf, die vor Aufregung ganz steil in die Höhe stehen.


Obwohl sie nicht wissen kann, dass Jackel die ganze Zeit wach gelegen und wegen ihrer Schritte in solch eine schlimme Angst gekommen ist, ahnt Oma Isterbies doch irgendwie, woher Jackels Not kommt. Denn sie ist eine kluge, lebenserfahrene Igelin, von der die Bewohner von Igelsdorf sagen, dass sie sogar den Kampf mit einem Fuchs überlebt hat. Seitdem ist sie auf eine Krücke angewiesen, die vom langen Gebrauch im Laufe der Jahre etwas klapperig wurde. “Jackelchen”, sagt Oma Isterbies beruhigend “Ich bin es doch nur! Deine Mama hat mir den Hausschlüssel gegeben. Sie bat mich, ihre Eisverkäuferinnenschürze zu holen. Die hat sie nämlich zu Hause vergessen. Ohne Schürze bekleckert sie beim Verkaufen doch ihr schönes rotes Kleid. Und außerdem habe ich Erdbeer-, Vanille- und Kokoseis in der Küche. Komm, steh’ auf!”

 

Jackel und der Ochsenschneck

Wir bleiben zusammen

Erste der Geschichten um Kastan und Kastania. Auf sich allein gestellt durchleben zwei Kastanien, die die in einer gemeinsamen Hülle heranwuchsen, Abenteuer. Verlag winterwork, 54 Seiten, 12,90 Euro, ISBN 976-3-96014-133-4


Leseprobe:

Ach, wie hat sich die Schulleiterin Heike Nietschmann vor diesem Nachmittag und dieser Versammlung gefürchtet: Ihre Schule soll einen anderen Namen erhalten! Alle Lehrerinnen und Lehrer, die hier unterrichten, einige Eltern sowie Schülervertreter aus jeder Klasse werden gleich zusammenkommen, um über die neue Bezeichnung abzustimmen. „Schule neben dem Baumarkt“, wollen einige sie künftig nennen, oder „Neben den drei Straßenlaternen“. Sogar „Schule am neu gepflasterten Fahrradweg“ war als Vorschlag eingereicht worden. Denn vor dem Gebäude hatten kürzlich erst Arbeiter mit ihren Baumaschinen gewerkelt. Der Belag der Straße und der des Fahrradweges waren erneuert worden.


Heike Nietschmann wird immer schwerer ums Herz. Seit fünfzehn Jahren schon lenkt sie die Geschicke dieses Hauses. Hier lernen die Kinder rechnen, schreiben, lesen, zeichnen, kochen sowie andere für das Leben wichtige Dinge. Und nun so etwas! Dabei waren doch bis vor Kurzem noch alle glücklich gewesen mit dem Namen „Schule an der Kastanie“. Auch wenn es diesen Baum auf dem Schulhof nicht mehr gab. Jenen alten Baum mit dem dicken Stamm und den knorrigen Äster. Unter ihm hatten die Schüler in jedem Herbst Kastanien aufgesammelt.  Der Baum gehörte zur Schule. Nach ihm hatte sie ihren Namen bekommen. Und dann musste sie Männer mit Kettensägen kommen lassen, die diesen Baum fällten. Noch heute durchzieht Heike Nietschmann ein Schauer, wenn sie an Kreischen der Motoren zurückdenkt, als sich die Schwerter der Sägen in das alte Holz fraßen.  Aber dieser Baum musste gefällt werden, es gab keine andere Möglichkeit. Und eigentlich blieb danach ja alles gut, bis denn eines Tages … Insgeheim wartet Heike Nietschmann, während sie vor ihren Lehrern, Schülern und den Elternvertretern sitzt, auf ein Wunder. Aber gibt es überhaupt Wunder und geschehen diese ausgerechnet in jenem Moment, in dem man besonders sehnsüchtig auf sie wartet? Wir werden sehen. Die Geschichte, die nun erzählt wird, berichtet davon, wie es zu diesem wirklich schlimmen Nachmittag für die Lehrer, Eltern und Schüler der Schule „An der Kastanie“ kommen konnte und ob vielleicht doch noch alles gut wird.

 

„Ich möchte immer an deiner Seite sein“, sagte die kleine Kastania. Sie war etwas ängstlich und somit ganz froh, jemanden neben sich zu haben. Eben hatte sie ganz deutlich gespürt, wie ein Ruck durch ihre gemeinsame Schale gegangen war. Eben jene Schale, die sie und ihren Bruder Kastan umhüllte und in der sie über den Frühling und den Sommer bis in den Spätsommer hinein zu dem heranwuchsen, was sie nun waren: Kastanien. „Fürchte dich nicht“, sprach Kastan und am Klang seiner Stimme glaubte Kastania deutlich zu erkennen, dass er der Mutigere der beiden war. „Fürchte dich nicht, noch hängen wir hier oben und niemand will oder kann uns etwas anhaben.“

 

Da war Kastania beruhigt. Ein leichter Spätsommerwind streichelte die Krone des alten Kastanienbaumes und bewegte seine Zweige ganz sanft. Und er schaukelte damit Kastania und ihren Bruder, so dass sie ganz ruhig wurden und noch ein Stück weiter wuchsen. Denn auch Kastan war in Wirklichkeit gar nicht so mutig, wie er sich gab. Aber das verriet er seiner Schwester nicht. Wochen vergingen. Die Blätter des alten Kastanienbaumes, an dem Kastania und Kastan hoch oben in ihrer schützenden Hülle hingen, begannen gelb zu werden. Und die Nächte wurden manchmal schon so kalt, dass die beiden sich in ihrer winzigen Behausung aneinander schmiegten und noch froher waren, das sie einander hatten. Was mochte das wohl für eine Welt sein, da draußen, die so kalt ist, dass die Kälte durch die schützende und sogar stachelbewehrte Hülle der Frucht eines Kastanienbaumes dringt?


Wieder war es Kastania, die den Ruck als erste spürte. Mädchen sind ja bekannterweise oft empfindsamer als Jungen. Ja, es war wohl inzwischen wirklich etwas eng geworden in dieser Schale. „Sind wir etwa immer noch weiter gewachsen?“, fragte sich das Kastanienmädchen. Und dann bekam die Kleine einen Riesenschreck. Was war das? Sie sah etwas rundes, bräunliches neben sich liegen und schlummern. „Ist das mein Bruder Kastan?“ Die Schale, die beide Kastaniengeschwister bisher umschlossen hatte, war nun endgültig aufgerissen. Licht drang nach innen und Kastania konnte ihren Bruder zum ersten Mal sehen. Er schlief ganz ruhig. Seine Gesichtszüge waren friedlich und unschuldig wie die eines jeden Kindes, das von Sicherheit und Geborgenheit träumt. Aber das nun in diese kleine, abgeschlossene Welt eindringende Licht gab Kastania nicht nur den Blick auf ihren Bruder frei. Nein, auch den nach draußen, in eine ihr gänzlich neue, fremde und unbekannte Welt.


„Wie tief es von hier aus hinab geht“, war ihr erster Gedanke und es durchfuhr sie ein Schreck. „Kastan, Kastan, wach auf“, rief sie in ihrer Angst und der Bruder öffnete die Augen. Er blinzelte zuerst ein wenig und als er seine ihm in all den Monaten so vertraut gewordene Schwester zum ersten Mal erblickte, da verschlug es ihm zunächst die Sprache. Er musste sich erst einmal damit abfinden, nun sehen zu können und es war ihm dabei schon seltsam zumute. Natürlich sagte er davon nichts. Doch die beiden hatten keine Zeit, über ihre neue Fähigkeit zu staunen. Weit unten in der Tiefe, in die Kastania eben noch mit Bangen geblickt hatte, bewegte sich ein Tier. Es lief hin und her, wedelte gelegentlich mit dem Schwanz, schien unaufhörlich etwas zu suchen und blieb wieder und wieder stehen. Gerade so, als ob es etwas gefunden hätte. Und in diesen Momenten drang ein deutlich vernehmbares Grunzen und Schmatzen bis hinauf in die Krone des mächtigen Kastanienbaumes.  

 
„Kannst du sehen, was das Tier macht?“, fragte Kastania den Bruder.

 

Wir bleiben zusammen

Jette mit der Kastagnette

Zweites Buch um Kastan und Kastania. Sie bekommen Gesellschaft: Ein Esskastanienbaum mit einer Vorgeschichte gelangt von Spanien nach Deutschland. Doch dort will ihn zunächst niemand ... dorise-Verlag, 72 Seiten, 6,90 Euro, ISBN 978-3-946219-17-0 (Gefördert durch „Demokratie leben!“)

 

Leseprobe:

Erster Teil:  Reise in die Ungewissheit

Heike Nietschmann hat eben fröhliche Kinderstimmen gehört. Für einen Moment lässt sie von der Arbeit an ihrem Schreibtisch ab. Sie steht auf und blickt aus dem Fenster ihres Büros hinunter auf den Schulhof. Sie sieht, wie Marie, Cora, Maik und Sebastian über den Schulhof laufen. Sie tragen Gießkannen. Am angestrengten Gang der vier Kinder kann die Leiterin der Schule „An der Kastanie“. erkennen, dass die Behältnisse mit Wasser gefüllt sind. „Die Kinder wissen sicher, dass Kastan und Kastania Durst haben“, entfährt es leise ihrem Mund. Und sie muss in diesem Moment an die Geschichte denken, wie die beiden Bäumchen auf den Hof der Schule gekommen sind. Ja, das war schon ein Abenteuer gewesen, das durchaus auch hätte anders ausgehen können.


Jetzt aber ist alles gut, auch dank dieser Mädchen und Jungen. Einen schöneren und beruhigenderen Anblick kann es für Heike Nietschmann kaum geben: einen von Sonnenschein durchfluteten Schulhof und fröhliche Kinder, die sich um zwei von ihnen selbst gepflanzte Kastanienbäume kümmern. Genau solche, nach denen die Schule, in der sie lernen, ihren Namen bekommen hat. Doch so, wie sich manchmal eine dunkle Wolke vor die Sonne schiebt, so kommen auch in einem Moment wie diesem dunkle Gedanken in der Schulleiterin auf. „Hoffentlich bleibt alles bei uns in der Schule so schön, wie es ist. Und Hoffentlich geht es den Kindern draußen in der weiten Welt so gut wie Marie, Cora, Maik, Sebastian  und den anderen hier. Und hoffentlich sind bei den Bäumen, die Durst haben, dort in der Ferne, auch Kinder, die sich um sie sorgen und ihnen an trockenen Tagen Wasser bringen.“ Heike Nietschmann hat wirklich ein weiches Herz und schließt deshalb Kastan und Kastania, die beiden Bäumchen, und nicht nur diese in ihre Gedanken ein. „Hoffentlich bleibt alles gut und hoffentlich wird es noch besser“, muss sie erneut denken.
Dann geht sie wieder zum Schreibtisch und wendet sich ihrer Arbeit zu.  
      
Haargenau am selben Tag und zur selben Stunde tragen sich in dem fernen Land Spanien, mehr als zweitausend Kilometer von der Bitterfelder Schule entfernt, seltsame Dinge zu. Und zwar in einer Baumschule. Baumschulen sind Gärtnereien, in denen statt Blumen sowie Salat-, Gurken- und Tomatenpflanzen richtige Bäume herangezogen werden. Und weil ein Baum größer als eine Salatpflanze wird, wächst er bis er verkauft wird nicht in einem kleinen Blumentopf, sondern in einem großen Pflanzkübel. Und in solch einem Gefäß, vergessen in einer Ecke, fristet Jette ihr Leben. Jette ist ein Kastanienbaum, genau gesagt: ein Esskastanienbaum. Sie hatte von Beginn an nicht so einen geraden Stamm wie ihre Geschwister. Deshalb wohl war sie von den Leuten, ie in die Baumschule kamen, weil sie einen Baum für ihren Garten suchten, nicht beachtet worden. So verbrachte sie, statt wie ihre Brüder und Schwestern ausgepflanzt zu werden, über Jahre ein Dasein in einem Pflanzkübel. Der wurde natürlich für ihre Wurzeln irgendwann zu eng. Und auch ihre Äste und Zweige waren bald so ausladend, dass die Herbstwinde sich in ihnen verfingen und Jette samt Kübel immer wieder umwarfen. Also kam der Gärtner mit einer Schere und schnitt die Krone des Baumes, was dem natürlich sehr weh tat.


So vergingen zwei oder drei Jahre. Immer aufs neue trieb Jette im Frühling frische Zweige. Sie blühte sogar. Vielleicht, um den Leuten, die sich in der Baumschule nach Pflanzen umschauten, zu gefallen. Aber niemand interessierte sich für Jette mit dem etwas schief gewachsenen Stamm. Und ihre schon so oft zurückgestutzten Zweige ragten wie knochige Finger über den Rand des Topfes. Sie waren an den verwundeten Stellen im Laufe der Zeit hart und wohl auch unansehnlich geworden. Eines Tages stach sich der Gärtner an einem ihrer Aststümpfe beinahe ein Auge aus. Da sagte er: „Es reicht!“ Er wuchtete den Baum samt Pflanzgefäß auf eine Karre. Dann brachte er beides in eine abgelegene Ecke seines Grundstücks. Eben dorthin, wo er nicht mehr benötigte Töpfe, altes Holz und andere Abfälle lagerten. Das Flehen und Bitten seiner unglücklichen Fuhre konnte er nicht hören. Denn er trug gerade Ohrstöpsel und hörte Musik.
Jette wäre an ihrem neuen Standort vertrocknet, wenn es ihr nicht gelungen wäre, eine Wurzel durch das kleine Loch am Boden ihres Pflanzgefäßes zu schieben und so in das Erdreich einzudringen.


Eines Tages geschah etwas Unerwartetes und Jette schöpfte Hoffnung: Ein kleines Mädchen mit schwarzen Augen, runden, goldenen Ohrringen und schwarzen Haaren, welche an ihrem Nacken wie bei einer Tänzerin zu einem Knoten gebunden waren, stand plötzlich in der Abfallecke. „Was machst du denn hier?“, hatte die Kleine bei Jettes Anblick erschrocken gefragt. Und der Baum, welcher nicht mehr damit gerechnet hatte, dass ihn jemand anspricht, gab zur Antwort: „Ich heiße Jette. Ich warte hier, dass mich jemand so nimmt, auch wenn mein Stamm nicht ganz gerade gewachsen ist. Aber niemand findet an mir Gefallen. Und hier in dieser Abfallecke schon gar nicht. Und wer bist du und was tust du hier?“


„Ich heiße Maria“, antwortete das Mädchen. Meine Eltern suchen einen Ölbaum für unseren Garten.“ „Du bist ein guter Mensch“, sagte Jette, „schade, dass deine Eltern keinen Esskastanienbaum suchen. Willst du meine Freundin sein?“ „Ja, das will ich“, hatte das Mädchen mit den schwarzen Haaren und den goldenen Ohrringen da geantwortet und gefragt: „Soll ich dir etwas vortanzen?“ Und die Kleine nahm zwei Kastagnetten, deren Holz fast so schwarz wie ihre Haare waren, aus der Rocktasche. Sie begann zu tanzen und sich dabei zu drehen, dass Jette allein schon bei diesem Anblick schwindlig wurde. Und während das Mädchen tanzte, erzeugte es mit den Hölzern in seinen Händen ein Klappern, das sich zu einer Melodie formte. Und Jette wusste dabei nicht, ob diese Melodie sich aus dem Tanz heraus formte oder der Tanz durch den Rhythmus der klackenden Geräusche entstand.


Zum ersten Mal in ihrem Leben fühlte Jette sich glücklich und von jemandem beachtet. Sie wünschte sich, dass dieser Moment niemals vergehen solle. Doch ein Ruf zerschnitt dieses Glück: Marias Eltern riefen nach ihrem Kind, machten sich vielleicht bereits Sorgen. So schnell Jettes Freude begonnen hatte, so jäh endete sie auch wieder. Doch Maria verschwand nicht einfach. „Ich weiß nicht, ob wir uns wiedersehen“, sprach Maria. „Aber ich lasse dir ein Geschenk hier, das dich ewig an unsere Begegnung erinnern soll. Behalte diese beiden Kastagnetten hier. Die haben Zauberkraft. Sie werden dir helfen, wenn du sie einmal brauchen solltest. Aber der Zauber wirkt nur ein einziges Mal. Und du musst diese Hilfe von ganzem Herzen und von ganzer Seele wollen. „Von ganzem Herzen und von ganzer Seele“, wiederholte die Kleine und fügte hinzu: „Und es funktioniert nur ein einziges Mal!“

Jette will heiraten

Wie wichtig ist es, dass man jemanden neben sich hat, damit man nicht der Einsamkeit verfällt? Verstehen, Verständnis füreinander, Liebe – diese Themen werden in diesem Buch für Kinder und jüngere Jugendliche behandelt. Die Illustrationen stammen von behinderten jungen Leuten. Das Projekt wurde durch „Demokratie leben!“ gefördert. Dorise-Verlag, 64 Seiten, ISBN 978-3-946219-26-2, 6,90 Euro


Leseprobe:

1. Kapitel: Eine beunruhigende Entdeckung

„Was ist das?“, auf Heike Nietschmanns Stirn bildet sich eine tiefe, senkrechte Falte. Sie lehnt am Fenster ihres Büros der Bitterfelder Schule „An der Kastanie“ und blickt hinunter auf den Hof. Noch fünf Minuten bis zur Pause. Niemand tobt draußen herum. Die drei Kastanienbäume stehen innig beieinander. Es ist windstill. Kastan und Kastania sind aus Früchten herangewachsen, welche die Kinder vor Jahren in einem nahen Wald sammelten. Und Jette, der Esskastanienbaum, war auf seltsame Weise zu seinem Platz auf dem Schulhof gekommen. Aber auch dieser Baum ist inzwischen gut gediehen und bietet mit seiner Krone ein schützendes Blätterdach. Alle drei ergeben miteinander ein Bild, das friedlicher nicht sein könnte. So jedenfalls empfindet es Heike Nietschmann. Und doch ist da diese Sorgenfalte auf ihrer Stirn. Die Blätter von Jette scheinen schon etwas gelb und leicht welk, während die von Kastan und Kastania in voller Kraft und vollem Grün stehen.


Das Schuljahr hat gerade erst begonnen, es ist Anfang September. Um diese Zeit nehmen Bäume normalerweise noch keine Herbstfärbung an. Und an der Sonne, die in diesem Sommer ihre Strahlen so gleißend auf die Erde schickte, kann es wohl nicht liegen. Da, wo Esskastanien sonst wachsen, brennt die Sonne noch kräftiger. Irgend etwas ist nicht in Ordnung. Das spürt die Schulleiterin und sie beschließt, ihrer Beobachtung auf den Grund zu gehen. Als sie den Hof erreicht, klingelt es zur Pause. Fröhlich lärmend verlassen die Kinder das Schulhaus. Was für ein Gewimmel! Gerade so, wie die Schulleiterin es liebt. „Frau Nietschmann, Frau Nietschmann, ich war in den Ferien an der Ostsee“, ruft Klara im Vorbeirennen und Thomas fragt: „Dürfen wir die Gießkannen holen und den Kastanienbäumen Wasser geben?“


„Ach, wenn ich meine Schüler nicht hätte!“, muss die Frau da denken. Und sie findet, dass die Stimmung ihrer Schützlinge und der Sonnenschein an diesem Tag nicht besser zusammenpassen könnten. „Doch halt!“, ist es ein Zufall, dass Thomas eben wissen wollte, ob er und einige Mitschüler den Bäumen Wasser bringen dürfen? Haben die Kinder hier auf dem Schulhof die gleiche Beobachtung gemacht wie sie vor wenigen Minuten am Fenster ihres Büros in der ersten Etage?

 

2. Kapitel: Der Sache auf den Grund gehen

Ist also doch etwas dran an ihrem ersten Eindruck, dass es dem Esskastanienbaum nicht gut geht? Denn Kastan und Kastania, die beiden einheimischen Kastanienbäume, haben tiefgrüne, vor Kraft strotzende Blätter. Und an ihren Zweigen hängen Früchte in prallen, stacheligen Hüllen. Mit einiger Sorge schwenkt Heike Nietschmanns Blick nun zu Jette. Sie tritt unter deren Krone und blickt nach oben. Was sie von ihrem Bürofenster aus beobachtet hatte, bewahrheitet sich.  Die Blätter nehmen eine leichte Gelbfärbung an. Viel zu früh für diese Jahreszeit. Auch scheint der Frau, als würden sie nicht so prall und kräftig von den Zweigen abstehen, wie sie es bei diesem Baum eigentlich kennt.


„Hast es ganz schön schwer“, murmelt sie da, „erst wollte dich niemand haben. Man hat dich samt Pflanzkübel einfach vor unserer Schule abgestellt, wahrscheinlich weil dein Stamm nicht gerade gewachsen ist. Wir haben immer gedacht, dass du dich trotzdem bei uns hier zwischen all den Kindern und neben den anderen beiden Kastanien wohlfühlst, endlich ein Zuhause findest. Und nun so etwas.“   Im Stillen hofft die Schulleiterin, dass der Baum ihr eine Antwort geben könnte. Aber selbst, wenn er zu ihr gesprochen hätte, seine Worte wären für sie nicht verständlich gewesen. Denn die meisten Erwachsenen haben es verlernt, die Sprache der Bäume zu verstehen. Inzwischen sind Thomas, Kevin, und Susi mit gefüllten Gießkannen gekommen. „Gebt Jette zuerst“, fordert Thomas und er beginnt, den Inhalt des Gefäßes neben den Stamm der Esskastanie zu gießen. Die anderen beiden tun es ihm gleich.


„Genau wie Maik, Sebastian, Cora und Marie damals“, erinnert sich die Pädagogin. „Diese vier haben sich damals aufopfernd um die drei Bäume gekümmert. Aber inzwischen sind sie erwachsen und gehen einer Arbeit nach. Wenn ich nur wüsste, was aus ihnen allen geworden ist!“ Marie war Heike Nietschmann vor einigen Tagen auf dem Weg nach Hause begegnet. Sie hatte gesehen, wie die ehemalige Schülerin in einem grünen Arbeitsdress gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen in Stadtpark Rosen pflanzte. Was aber ist mit den anderen?

 

3. Kapitel: Eine sehr gute Idee

 „Marie kann vielleicht helfen! Dieser Gedanke durchschießt die Schulleiterin wie ein Blitz. Schon damals hatte sie den Eindruck gehabt, als würde dieses Mädchen mit den Bäumen und anderen Pflanzen auf dem Schulhof sprechen können. Und Jette war wohl Maries Lieblingsbaum gewesen. Kaum wieder in ihrem Büro, greift die Frau zum Telefon. Sie ruft beim Stadthof an. Der Stadthof ist für die Pflege der Grünanlagen verantwortlich. Und dort bestätigt man ihr, dass die ehemalige Schülerin dort arbeitet. „Und Sie möchten, dass Marie persönlich vorbeikommt?“, fragt der Leiter des Stadthofes am anderen Ende der Telefonleitung.


„Ja, bitte unbedingt die Marie. Die kennt den Baum, hat ihn über Jahre mit Wasser versorgt und einmal, nach einem schlimmen Unwetter, sogar unter ihm getanzt. Man hätte meinen können, die beiden reden miteinander. Wenn einer diesem Esskastanienbaum helfen kann, dann ist es unsere Marie!“ Am nächsten Morgen ist es soweit. Der Bauhofleiter hatte vor zwanzig Minuten die Schule informiert. „Meine Mitarbeiterin ist eben auf ihr Fahrrad gestiegen und Richtung Schule losgefahren.“ Es klingelt zum Ende der großen Pause. Die Kinder verschwinden im Gebäude. Lärmend suchen sie die Klassenräume auf. Durch die offene Außentür kann die Schulleiterin das hören. Ungeduldig schaut sie auf ihre Armbanduhr. Dann ist es endlich soweit. Eine junge Frau kommt mit ihrem Fahrrad auf den Schulhof gefahren. „Du bist ja richtig erwachsen geworden!“, sagt Heike Nietschmann zur Begrüßung. Sie kann nicht umhin, Marie zu umarmen.

 

Jette will heiraten

Jettes Kinder und das blaue Licht

Bitterfeld im Jahr 2060: Marie und Maik besuchen mit ihrer Enkelin Sandra den Ort ihrer Kindheit. Dort begegnen sie einem Roboter, der sich vor den Menschen versteckt und einen Plan verfolgt. Dies ist der vierte Band der Geschichten um Kastan und Kastania sowie den Eskastanienbaum Jette. Ob Am Schluss alles gut wird? dorise-Verlag, 76 Seiten, 6,90 Euro, ISBN 978-3-946219-40-8


Leseprobe:

1 Wiedersehen im Jahr 2060

„Was ist denn hier los?“, hört Sandra ihre Oma erschrocken rufen. Wahrscheinlich hatte die solch einen Anblick nicht erwartet. „Was ist nur aus unserer Schule geworden? Dort drüben, wo jetzt die vielen kleinen Bäume wachsen, da haben wir in den Pausen Fangen gespielt, Frühstücksbrote gegessen und unserer Schulleiterin gewunken, wenn sie von ihrem Bürofenster aus zu uns herunterschaute.“ Sandras Oma Marie lernte an diesem Ort einst lesen, schreiben und rechnen. Das ist jedoch inzwischen fast fünfzig Jahre her, ein halbes Jahrhundert!


Das Mädchen sieht, wie Opa Maik beruhigend seinen Arm um Omas Schulter legt. Sie ist oft schnell etwas aufgeregt. Beide besuchten einst gemeinsam diese Schule. Nun sind sie schon lange, sehr lange, miteinander verheiratet. Ihre Haare wurden im Laufe der Jahre grau und zum Fangen spielen sind die beiden älteren Leute wohl auch nicht mehr flink genug. „Alles ist so anders, ich mag das gar nicht begreifen“, sagt die alte Frau und es klingen Enttäuschung und wohl auch ein wenig Entsetzen in deren Stimme mit. „Nun bleib doch erstmal ganz ruhig“, mahnt der Opa. Das Mädchen sieht, wie seine rechte Hand noch immer die Schulter der Oma umfasst. Und mit seiner linken streicht er jetzt auch Sandra beruhigend über den Kopf. „Alles im Leben verändert sich. Nichts bleibt so, wie es ist.“ Die Zehnjährige weiß, dass ihr Opa ein kluger Mann ist. In jungen Jahren hat er als Forstarbeiter dabei geholfen, die Bäume für einen ganzen Wald zu pflanzen. Dieser Wald war lange Zeit berühmt und heißt Goitzsche. Viele, viele Menschen kamen Jahr für Jahr mit Autos, Zügen und Bussen, um im Wald und am nahegelegenen See zu wandern, mit dem Rad zu fahren oder sich einfach nur auf eine mitgebrachte Decke zu legen und ein Buch zu lesen.


Dann wurde es immer heißer im Goitzsche-Wald. Zuallererst wuchsen die Bäume langsamer. Dann vertrockneten viele der noch kurz vorher gepflanzten Kiefern. Es folgten die Fichten und dann begannen sogar die Birken, bereits im Sommer ihr Laub abzuwerfen. Lange hatten Sandras Großeltern gezögert, ihr den Ort ihrer Kindheit und Jugend zu zeigen. Aber dann waren sie doch der Meinung: „Wer jeden Sommer die Ferien mit seinen Eltern auf dem Mars verbringt, der kann sich ruhig auch mal mit seinen Großeltern ein Stück Erde angucken. Und dann war da auch noch ein Brief von Thomas, einem ehemaligen Mitschüler, der die beiden älteren Leute erreichte. Dieser Thomas hatte etwas von einem blauen Licht und einer Erfindung geschrieben, mit welcher er den Goitzsche-Wald retten will. Das machte natürlich neugierig.


„Dort stehen Kastan und Kastania!“, ruft Opa Maik plötzlich und zeigt auf zwei Kastanienbäume mit weit ausladenden Kronen, welche ineinander verwachsen sind. „Und dort sind Jette und Toni Maroni, unsere beiden Esskastanien!“, ruft die Oma begeistert. Bewundernd fügt sie hinzu: „Sind die riesig geworden, ich hätte sie fast nicht wiedererkannt!“ Sandra staunt, dass ihre Oma sich in diesem Augenblick so ungehalten freuen kann. Wo sie sonst eine eher stille und in sich gekehrte Frau ist. Und vorhin, als sie vom Bitterfelder Bogen aus in die Landschaft geblickt hatten, da war die Frau noch stiller geworden. Mit Erstaunen hatte die Enkelin bemerkt, wie sich eine Sorgenfalte senkrecht auf der Stirn der Frau gebildet hatte. Um so mehr freut sie sich jetzt, dass ihre Großeltern diese vier Bäume mit so viel Freude wiedererkannt haben. Für das Mädchen sind ihre Namen nicht neu. Und auch nicht die Geschichten, welche sich um sie ranken. Wenn sie bei Oma und Opa zu Besuch ist, kann sie den beiden nicht genug zuhören. Sie erzählen dann von Schulausflügen, bedrohlichen Stürmen, wilden Tieren, Gewittern und sprechenden Bäumen während ihrer Jugendzeit. Und auch davon, dass nicht nur sie selbst, sondern auch Bäume sich damals verliebten. Ja, hier in dieser Schule An der Kastanie, da sollen schon viele spannende Dinge passiert sein!


Sandra fühlt sich in der Nähe ihrer Großeltern sicher und gut aufgehoben. An den Abenden bei ihnen zu Hause gibt es selbst gebackene Pizza, Lindenblütentee, der schön schläfrig macht und eine Gute-Nacht-Geschichte. Und die Oma deckt Sandra am Schluss immer gut zu. Das beruhigt.  Sandra  weiß, dass an ihr manchmal etwas anders ist: Sie träumt nachts seltsame Dinge und bleibt lange wach liegen. Am Morgen danach ist sie dann müde, hat schlechte Laune und kann sich nicht richtig konzentrieren. Und auf das Lernen für die Schule schon gar nicht. Oft ist sie dann ungerecht, sogar zu ihren geliebten Eltern. Leider sieht sie die an fünf Tagen in der Woche nur auf dem Wandbildschirm. Beide arbeiten in einem Weltraumlabor. Da kann man nicht am Feierabend mal schnell auf die Erde zurück und morgens nach dem Frühstück wieder losfliegen. Der Hausroboter Elsa1 übernimmt dann die Elternrolle: Er fragt den Lernstoff für die Schule ab, bereitet das Abendessen, räumt das Geschirr ab, bügelt, wischt Staub, gießt die Pflanzen auf dem Fensterbrett. Und abends fährt er noch einmal vor Sandras Bett und sagt: „Ich wünsche, einen guten Schlaf zu haben.  Falls ich gebraucht werde, ich warte auf meinen Platz draußen vor der Tür. Du musst mich nur rufen!“    


Wenn ihre Eltern dann zum Beispiel am Wochenende zu Hause sind, ist Sandra oft frech zu ihnen. Das tut ihr dann  hinterher zwar leid, aber es geschieht trotzdem immer wieder. Richtig glücklich ist das Mädchen erst dann, wenn sie mit beiden an einem Tisch essen kann, wenn wenigstens einer von ihnen abends eine Weile auf dem Rand ihres Bettes sitzt und ihr vor dem Schlafen einen Gute-Nacht-Kuss gibt. Aber das geschieht leider höchstens zweimal pro Woche. Ansonsten gibt es einen Luft-Schmatz über den Bildschirm. Aber so geht es ja Sandra nicht alleine. Andere Kinder sehen ihre Eltern manchmal einen ganzen Monat nicht in echt. Da ist sie schon um einiges besser dran. Das ist schon ein kleiner Trost. Aber nur ein kleiner. Denn Hausroboter können zwar vieles, aber nicht streicheln, trösten oder einen Gute-Nacht-Kuss geben.  


Sandra ahnt nicht, dass es auf dem ehemaligen Schulhof, den sie gerade mit ihren Großeltern betreten hat, ein ganz besonderes Geheimnis gibt. Denn das kennen selbst die  nicht: Am Stamm eines der vier riesigen Kastanienbäume, welche die Oma eben bei ihren Namen genannt hatte, liegt nur wenige Zentimeter tief in der Erde etwas Hölzernes vergraben. Es handelt sich dabei um ein Musikinstrument, wie es die Tänzerinnen im fernen Spanien früher oft in ihren Händen hielten und damit  „klack, klack, klack“ einen Takt erzeugten. Dieses hölzerne Instrument ist eine Kastagnette. Der Baum, an dessen Wurzel das Instrument nun schon so viele Jahre vergraben liegt, bekam dieses einst von einem Mädchen, das Ballettschuhe trug, geschenkt. Es tanzte für ihn, um ihn von seiner Einsamkeit und Traurigkeit zu befreien. Denn er stand abseits in der Rumpelecke einer Baumschule in einem viel zu kleinen Topf und wurde obendrein nicht gegossen.


„Ich lasse dir ein Geschenk hier“, hatte das Mädchen zum Abschied gesagt und hinzugefügt: „Es soll dich ewig an unsere Begegnung erinnern. Behalte die Kastagnette. Sie hat Zauberkraft. Sie wird dir helfen, wenn du sie einmal brauchen solltest. Aber der Zauber wirkt nur ein einziges Mal. Und du musst diese Hilfe von ganzem Herzen und von ganzer Seele wollen. Von ganzem Herzen und von ganzer Seele“. Und dann hatte die Kleine noch gemahnt: „Vergiss nicht, es funktioniert nur ein einziges Mal!“ Ob es wirklich Zauberei gibt? Und weshalb hat der Baum, aus dem später Jette wurde, so viele, viele Jahre diese Kraft nicht genutzt? Schließlich war er schon so oft in Gefahr gewesen. Hatte er das Geschenk an seinen Wurzeln vergessen oder steckt etwas anderes dahinter? Vielleicht wollte er sich diesen Wunsch unbedingt aufsparen? Aber von all dem ahnt Sandra in diesem Augenblick noch nichts. Und an Zauberei ist in der Welt, welche sie umgibt, ohnehin nicht zu denken. Wie funktioniert das, wenn ich abends über einen Fernseher mit meinen Eltern spreche? Weshalb haben die Kinder auf dem Mars nicht zur selben Zeit Schulferien wie die auf der Erde? Warum pustet ein Sonnenwind kein Verkehrsschild um? Es gibt so viel zu lernen. Da ist wirklich keine Zeit für Zauberei. Und dass die T-Shirts aus der Waschmaschine ordentlich in den Kleiderschrank kommen, dafür braucht man keine Zauberei. Schließlich gibt es Hausroboter wie Elsa1.


2 Weitere Zeichen der neuen Zeit

„Dass unsere Schule nicht mehr in Betrieb ist …“, seufzt die Oma leise. Sandra denkt sich: „Dass die älteren Leute immer so an früher hängen!“ Und ihr Opa sagt: „Du weißt doch, dass damals so viele Schulen zusammengelegt wurden. Zu wenige Kinder, modernere Häuser und keine Schulbusse mehr.“ „Schulbusse?“ fragt Sandra erstaunt. „Ja, als wir so alt waren wie du heute, da sind viele Schüler in Bussen zur Schule  gefahren worden. Die Leute lebten über die Dörfer und Städte verteilt. Für viele war der Weg sehr weit und nicht alle Eltern konnten ihre Kinder mit dem eigenen Auto fünfmal pro Woche zur Schule bringen.“ „Mit dem Auto zur Schule oder mit dem Bus?“, fragt Sandra noch immer erstaunt. „Gab es denn damals noch keine Flugtaxis? Und überhaupt: Fünfmal pro Woche Schule! Igitt!“


„Das war früher eben nicht anders, als deine Oma und ich hier rechnen, lesen, schreiben und andere Dinge gelernt haben. Das gab es damals noch nicht, dass man die Schule  wie eine Armbanduhr am Handgelenk mit sich herumträgt. Ihr braucht heute nur diese Uhr irgendetwas zu fragen und erhaltet gleich die Antwort. Ihr könnt, wenn der Bildschirm zu klein ist, die Aufgaben an eine Wand beamen, benötigt nicht mal Hefte. Und dann sprecht ihr die Antworten. Euer Computer schreibt die Sätze danach in die leeren Zeilen. Und beim Rechnen füllt er die Kästchen mit Zahlen aus, die ihr ihm nennt. Ihr sagt: ‚Speichern und abschicken!’, und schon kann euer Lehrer sehen, ob ihr etwas begriffen habt oder nicht. Damals war das bei uns nicht so einfach wie heute für euch. Aber dafür haben wir noch Dinge gelernt, die ihr kaum noch könnt … “


„Ich weiß!“, sagt Sandra etwas gedehnt. „Das hatten wir schon so oft: Damals war alles besser. Ihr habt noch in einer richtigen Klasse gesessen, in den Pausen mit den anderen Kindern gespielt, Bücher und Hefte in Taschen zur Schule geschleppt, Zensuren bekommen … Heute wissen viele von uns nicht, wie man mit einem Stift schreibt, wie man im Kopf rechnet, ohne die Zahlen an der Wand zu sehen … Wir sind verwöhnt, weil wir mit einem elektrischen Flugtaxi zweimal im Monat zum Lerntreff geflogen werden. Nur, damit wir mal andere Kinder kennen lernen, die dasselbe zu lernen haben. Ja ja, damals war alles besser …“ Die Oma unterbricht Sandras Rede: „Ihr sollt euch nicht streiten. Und überhaupt, Sandra, sei nicht immer so vorlaut!“ An den Opa gewandt sagt sie: „Die Kinder heutzutage sind viel zu oft alleine. Nicht zusammen am Abendbrottisch sitzen, keine Geschichten von damals hören und kuscheln nur am Wochenende, wenn überhaupt …“
„Aber ich habe doch recht“, protestiert Sandra. „Es kann doch wohl nicht gut gewesen sein, dass ihr euch zum Beispiel mit Heften und Büchern aus Papier abgeschleppt habt. Um das Papier herzustellen, mussten viele, viele Bäume sterben. Und dann der Schulbus: der hatte bestimmt einen Motor, der mit Diesel angetrieben wurde. Ich habe gelesen, dass bei der Verbrennung des Kraftstoffs schlimme Wolken entstanden sind, die gestunken und Menschen, Tiere und Pflanzen krank gemacht haben.“


„Daran kann ich mich erinnern“, tönt plötzlich eine Stimme. Doch es ist weder die von Sandra noch von ihrer Oma oder ihrem Opa. Erstaunt blicken sich Sandra und Oma zuerst gegenseitig an und dann auf das, was sie umgibt.

Rudi auf dem Regenbogen

Rudi, eine kleine Französische Bulldogge, besteigt einen Regenbogen, rutscht auf der anderen Seite hinunter und landet in einem Tiergehege. Dort begegnet er einem wütenten Gänserich, einem Hängebauchschwein und einem stolzen Kater … Eine abenteuerliche Geschichte mit zahlreichen Illustrationen. dorise-Verlag, 34 Seiten, 6,90 Euro, ISBN 978-3-946219-12-5

 

Leseprobe:

Samstagnachmittag. Rudi liegt auf seinem Kissen und versucht sich zu beruhigen. Ein Gewitter zieht über das Land. Und Hunde haben Angst vor Gewittern. Er ist froh, so eine schöne, weiche Unterlage und ein schützendes, trockenes Zuhause zu haben. Und seine Menschen, die ihn füttern, streicheln, ausführen und mit ihm reden. Obwohl es noch früh am Tage ist, wurde es durch das Unwetter draußen fast so dunkel wie in der Nacht. Nur Blitze erhellen den Hof hinter dem Verandafenster immer wieder und lassen die Welt auf dem Hof für Augenblicke sichtbar werden. Das auf jeden Blitz folgende Donnergrollen macht Rudi Angst. Das hört sich für ihn fast so schlimm an wie in den Silvesternächten die Böller und Raketen.


„Hab keine Angst Rudi, es ist bald vorbei“, hört der kleine Hund eine menschliche Stimme sagen. Und wieder erhellt ein Blitz den Hof draußen. Die Weinranken an der Hauswand gegenüber werden in ein grelles Licht getaucht und mit ihnen auch die Kletterrose. Und die Äste des Walnussbaumes biegen sich schwer unter der Last von Regen und Wind. Der Sturm ist inzwischen etwas weniger geworden, aber der Regen nicht. Er prasselt noch immer derart auf das Verandadach, dass es sich anhört, als würde eine Herde Pferde darüber hinweggaloppieren. „Ein Wolkenbruch“, hört Rudi einen seiner Menschen sagen. Es prasselt und prasselt und prasselt und wird zu einer eintönigen Melodie. Dazu ist es dunkel, im Hause warm und trocken, das Kissen unter Rudis Körper ganz weich. Seine Atemzüge werden immer ruhiger und gleichmäßiger …

 

Auf einmal macht die Sonne mit ihren Strahlen den Hof wieder hell und schön. Durch die noch nassen Fensterscheiben kann Rudi sehen, wie die frischen Triebe des Walnussbaumes, die Blüten der Kletterrose und natürlich auch die Weinblätter tropfnass und schwer überhängen. Rudis Menschen öffnen jetzt sogar die Haustür, um  die frische klare Luft herein zu lassen. Doch das genügt Rudi nicht. Er möchte hinaus, nach seinen Freunden sehen. Diese Freunde sind ganz anders als er. Sie bellen nicht und sind trotzdem laut. Man kann ihre Ohren nicht sehen und sie hören trotzdem. Sie haben kein Fell und müssen dennoch im Winter nicht frieren. Sie laufen auf zwei Beinen, sind aber keine Menschen. Und wenn Rudi laut bellt, dann flattern sie ganz schnell mit ihren Flügeln und sind verschwunden. Doch schon bald kehren sie zurück, einer nach dem anderen. Sie necken sich, sie schimpfen aus Spaß, pflücken die ersten süßen Beeren aus dem Weinspalier an der Wand gegenüber und sind immer fröhlich – die Spatzen.


„Wo sind sie, meine Spatzen?“, fragt sich Rudi erschrocken. Längst ist ihm ihr Piepsen und Tschilpen zu einem vertrauten Geräusch geworden, wenn er draußen auf seinem Kissen neben der Haustür liegt, um das Grundstück seiner Menschen zu bewachen. Und er duldet sogar, dass einige besonders Mutige dieser munteren Gesellen sich bis zu seinen Näpfen wagen. Sie trinken von seinem Wasser und probieren von seinem Futter. Normalerweise sind Hunde da sehr eigen und vertreiben jeden, der ihnen ihr Fressen wegnehmen will, mit lautem Gebell. Aber manchmal gibt es eben nicht alltägliche Freundschaften, wie die zwischen Rudi und den munteren kleinen Vögeln.Doch wo sind die Spatzen jetzt? Sind sie wegen des heftigen Regens erschrocken und kommen nicht mehr wieder? Haben sie nasse Federn bekommen und können nun nicht mehr fliegen? Oder ist noch Schlimmeres Geschehen: Sind sie mit ihrem nassen und damit schweren Federkleid vom Himmel gefallen und anschließend in einer Pfütze ertrunken?


Rudi ist ratlos und läuft laut winselnd zwischen Hof- und Haustür, einigen Himbeersträuchern, dem Walnussbaum und dem Weinspalier hin und her. Er sucht und winselt und winselt und sucht. So heftig eben, wie ein kleiner Hund das tut, wenn er seine Freunde vermisst. Wo nur sind die Spatzen geblieben? Sehnsüchtig geht Rudis Blick jetzt hinauf Richtung Himmel. Doch was erblickt er da? Ein blau und grün und rot und gelb schillernder Bogen spannt sich durch die noch regenfeuchte Luft. Er beginnt direkt neben den Himbeersträuchern, geht bis dort hinauf, wo eben noch die Regenwolken waren und senkt sich weit hinten am Horizont zurück zur Erde. Rudi hat schon desöfteren einen Regenbogen gesehen. Aber dass einer bis hinunter zur Erde reicht, das ist für ihn neu.


Was hat das zu bedeuten? Soll es eine Einladung an ihn sein? „Vielleicht kann ich, wenn ich die Welt von oben betrachte, sehen, wo meine Freunde geblieben sind“, denkt er jetzt. Denn er ist wirklich ein kleiner Hund, der seinen Menschen gerade mal bis an die Knie reicht. Nur ein bisschen hohes Gras und er kann beim Spaziergang nicht weiter blicken, als seine Nase reicht. Aber seine Menschen können die Wiese überschauen und die Sträucher sehen, die an deren Ende wachsen, und die Häuser, die sich hinter den Sträuchern befinden. „Ob ich es wage?“ Rudis Blick geht noch einmal Richtung Haustür. Er vergewissert sich, dass keiner seiner Menschen ihn beobachtet. Dann setzt er zum Sprung an. Denn ganz bis zum Boden reicht der Regenbogen nun doch nicht.


Zuerst muss der kleine Hund etwas mit den Füßen scharren, bevor er richtigen Halt bekommt. So ein Regenbogen ist vor allem an seinen Enden ziemlich steil. Aber dann ist alles gut und Rudi tastet sich Schritt für Schritt weiter. Vorsicht ist geboten, denn ein Blick nach unten verrät ihm, dass er bereits eine beängstigende Höhe erreicht hat. Das Verandadach, auf welches vorhin noch der Regen prasselte, kann er nun von oben sehen. Von Pferden, deren Hufetrappeln er doch deutlich hörte, entdeckt er jedoch keine Spur. Auch der Nussbaum, zu dessen Früchten Rudi im Herbst sehnsüchtig in die Höhe schaut, sieht von oben gar nicht mehr so groß aus. Und die Himbeersträucher sind kaum noch zu erkennen, so klein sind sie von hier aus geworden.

 

Rudi auf dem Regenbogen

Von Rudi, der nicht fressen wollte

Ob Rudi doch noch glücklich wird? Eine gleichnishafte Geschichte für Kinder und Erwachsene.
28 Seiten, über den Autor zu beziehen, 4,90 Euro.


Leseprobe:

Es war einmal ein kleiner, schwarzer Hund. Der hieß Rudi. Rudi wurde der beste Freund seiner Besitzer Frau und Herr Paul. Aber das war nicht von Anfang an so. Und davon will ich euch heute erzählen: Weil der Sohn der beiden Eheleute längst in einer weit entfernten Stadt wohnte und mit einer eigenen Familie lebte, fühlten sich die zwei nicht mehr ganz jungen Menschen oft einsam und eines Tages beschlossen sie: „Wir schaffen uns einen Hund an.“ „Dann sind die Tage nicht mehr so langweilig“, sagte Frau Paul“ und „Wer weiß, vielleicht kann er uns nachts sogar beschützen, falls einmal Einbrecher in unser Haus kommen sollten“, ergänzte ihr Mann. Also suchten sie nach einem Hund, der ihrer beider Vorstellungen entsprach: „Klein soll er sein, sodass ich ihn auf den Arm nehmen kann“, sagte die Frau. Und Herr Paul meinte: „Aber stark soll er trotzdem sein und möglichst grimmig blicken, damit Menschen, die uns Böses tun wollen, vor ihm Angst bekommen!“ Also begaben sich die Frau und der Mann auf die Suche nach einem kleinen, fast winzigen Hund, der trotzdem stark war und obendrein noch aussah, als könnte er drei Einbrecher gleichzeitig mit einem einzigen Schnapp verschlingen. Das war keine leichte Aufgabe für die beiden. Wohl gab es kleine Hunde zur Genüge, die sofort auf Frau Pauls Arm gehüpft wären. Aber Herr Paul konnte sich nicht mit ihnen anfreunden. „Und wenn ein Einbrecher kommt …?“, fragte er seine Frau und schlug ihr vor, einen Hund zu kaufen, welcher ihm gefiel. Dieser war zwar nicht sehr groß, wirkte aber so kräftig, dass den Betrachter ein Schauer durchfuhr, wenn er die mächtigen, hervorstehenden Zähne des Tieres betrachtete. Aber Frau Paul fürchtete sich zu sehr vor diesem Hund. So blieb er bei seinem Besitzer.


Und dann sahen die beiden Menschen eines Tages einen kleinen, schwarzen Französischen Bulldoggenjungen, der lustig mit seinen Geschwistern spielte. Den schlossen sie sofort in ihre Herzen.  Sie nannten ihn Rudi und nahmen ihn mit nach Hause. Unterwegs, so von seiner Mutter und seinen Geschwistern getrennt, wimmerte Rudi zwar ein wenig. Aber das würde sich sicher bald geben. Davon waren die beiden Leute überzeugt. Sie ahnten ja nicht, welche Ängste der Kleine durchstehen musste.
„Ob ich meine Mutter und meine Geschwister jemals wiedersehe? Wo komme ich hin und werde ich es gut haben bei diesen Menschen? Kann ich dort Freunde finden, die auch auf vier Pfoten laufen und bellen können wie ich? Das Ehepaar hörte immer wieder das leise Winseln des Hundes. „Vielleicht verträgt er das Autofahren nicht“, sagte Frau Paul zu ihrem Mann und streichelte den Kleinen, der auf ihrem Schoß saß. Als Frau und Herr Paul endlich vor ihrem Haus angekommen waren und mit dem kleinen Rudi aus dem Auto stiegen, kam gerade Frau Richter von nebenan mit ihrer Nina vorbei. Nina war eine Labradorhündin, viel größer als Rudi und betrachtete neugierig das kleine Bündel auf Frau Pauls Arm. Und weil Nina eine wohlerzogene und freundliche Hündin war, wedelte sie mit ihrem Schwanz, um ihre Freude zu zeigen und zu sagen: „Willkommen, lass uns Freunde sein!“ Die Überraschung, an seinem neuen Wohnort einen anderen Hund zu erblicken, war auch bei Rudi groß. Auch er wollte auf dem Arm von Frau Paul in Hundemanier mit dem Schwanz wedeln. Aber Französische Bulldoggen haben an seiner Stelle nur einen kleinen Stummel. Und so ließ Rudi diesen aufgeregt hin und her wackeln, was für seine Menschen lustig aussah.

 

Auch kleine Hundekinder haben Angst, wenn sie von zu Hause fort müssen.

 

„Wir verreisen nachher für einige Wochen und da will ich den Hund schnell noch mal ausführen“, sagte Frau Richter zu den Pauls und lief mit ihrer Nina weiter. Rudi schaute ihr sehnsüchtig hinterher und wäre wohl am liebsten mit ihr gegangen. Aber Pauls nahmen ihn mit in ihre Wohnung. Der kleine Hund sollte es wirklich gut haben, in seinem neuen Zuhause. Dafür taten die Leute  alles: Im Wohnzimmer hatte Rudi einen eigenen Sessel und am Abend durfte er sogar vom Sofa aus fernsehen. Frau Paul trug ihn wie ein eigenes Kind auf dem Arm durch die Wohnung und Herr Paul übte mit ihm „Stöckchen-Holen“, damit der Kleine vom Rennen auch richtig stark werde. Außerdem geizte der Mann nicht mit Belohnungen, wenn sein Hund es ihm recht tat. Die beiden Eheleute waren wirklich glücklich mit ihrem Rudi. Aber war Rudi auch glücklich? Nachts, wenn seine Besitzer schliefen und er in seiner Kiste lag, konnte er oft keine Ruhe finden. Obwohl er zu lieben Menschen gekommen war, fühlte er sich als Hund allein. Und Einsamkeit kann sehr wehtun. Ihm ging das Bild von Nina nicht aus dem Kopf, wie sie ihn bei seiner Ankunft begrüßt und mit ihrem Schwanz gewedelt hatte.Was würde Nina wohl jetzt tun? Ob sie auch auf ihrem Schlafplatz lag und an ihn dachte? Seit jenem Tag, als er bei seinen   neuen  Besitzern    angekommen

 

Frau und Herr Paul freuten sich sehr über den kleinen Rudi. Sie vergaßen dabei, dass sie kein Kind sondern einen kleinen Hund zu sich nach Hause geholt hatten.


war, hatte er Nina nicht wieder gesehen und auch nicht seine Geschwister oder irgendeinen anderen Hund. Davon wurde Rudi immer trauriger. „Unser Liebling will nicht mehr fressen“, sagte die Frau eines Tages zu ihrem Mann. „Ob er krank ist?“ Die beiden gingen mit Rudi zu einem Tierarzt. Dieser hörte den kleinen Hund  ab und sagte anschließend: Ihr Rudi ist kerngesund. Jedenfalls, was den Körper betrifft. Dass er nicht fressen will, liegt an etwas anderem.“ „Woran?“, fragten Frau und Herr Paul da wie aus einem Munde. „Nun“, antwortete der Tierarzt und man konnte deutlich sehen, dass sich auf seiner Stirn eine tiefe, senkrechte Sorgenfalte bildete, „ich glaube, dass ihrem kleinen Rudi etwas fehlt und das macht ihn unglücklich.“ „Ihm fehlt etwas?“, fragten die beiden Leute wie aus einem Mund und schauten ungläubig erst sich und dann den Tierarzt an.
„Aber er hat doch alles, was ein Hund braucht!“ …

Rudi der nicht fressen wollte
Traurig lag Rudi vor Sehnsucht auf dem Boden. Warum nur wollten seine Menschen nicht verstehen, wonach er sich sehnte?